Verliebt in einen Kunden

Wir alle kennen die klassischen Verliebtheits- oder Liebesgeschichten am Arbeitsplatz. Aber warum ist es für eine Sexarbeiterin immer noch so ein No-Go, sich bei der Arbeit zu verlieben? Escort Rahel Kaléko erzählt, wie es sich anfühlt, Gefühle für einen Kunden zu haben und dass das Schreiben von E-Mails auch Sexarbeit ist.

Mein Name ist Rahel Kaléko. Rahel ist meine “andere” Schwester. Ein Teil von mir. Den gebürtigen Namen lege ich für meinen Beruf ab. Rahel ist freier, leichter und mutiger als ich.

Ansonsten ist in meinem Job so ziemlich alles so, wie in anderen Jobs auch. Ich arbeite im Dienstleistungsbereich.

Anstatt an der Kasse zu sitzen oder Kaffee mit einem Lächeln zu servieren, schenke ich Menschen schöne Stunden. Dabei komme ich diesen Menschen jedoch außergewöhnlich nah. So nah, wie es sich meine Kunden wünschen. Ich lasse Rahel begehrt werden. Dabei enstehen kleine und große Geschichten. Dramatische, erotische, knisternde Abenteuer. Diese teile ich mit meinen Kolleginnen von Hetaera am Stammtisch in der Bar “Freundschaft” oder – nun wo Corona ist – hier mit euch.

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Heute: Verliebt in einen Kunden ?

 Es war eine ganz normale Anfrage zur Zeit zwischen den Lockdowns, als wir wieder ganz normal arbeiten durften. Eine Person  aus München will mich treffen. Wir missverstehen uns gleich: Er will, dass ich zu ihm fliege, nicht er zu mir. Wie konnte ich das verwechseln? Dann fiel mir ein: Ich bin die reisende Edeldame in dem Fall und komme zu meinem Auftraggeber. Auftraggeberedelmänner reisen sonst viel, vor allem nach Berlin und dort schlafen sie in Hotels und dort kommen Sexworker zum Einsatz – die sie ablenken und wieder funktionsfähig machen. Ein allseits und teuer geschütztes Geheimnis für das normalste Bedürfnis der Welt für alle Vornamen und Nachnamen: SEX. Ich wollte Liebe schreiben. Manchmal denke ich:

“Wir sind verdammt noch mal Liebesarbeieter*innen, nicht nur Sexarbeiter*innen.”

 Der nächste Teil des Gesprächs drehte sich um den Klimawandel und meiner Bestimmtheit darin mit dem Zug von Berlin nach München zu fahren,  immerhin gibt es die Strecke mit High Speed ICE. Schon vor dem Klimawandel sinniere ich darüber, was ich bei dem Date tragen werde. München…feine Stadt! Ich mache meinen Job wahrscheinlich zu 80 % – …naa sagen wir 87 % – wegen der Möglichkeit feine Kleider, High Heels und lange Mäntel zu tragen und für den Lippenstift natürlich. Textilien, die sanft meinen langen und schmalen Körper entlanggleiten, mich an den Brustwarzen kitzeln oder meinen Po umschmeicheln. High Heels, die mich strecken, vergrößern, aufrichten, mich meinen Kunden in die Augen blicken lassen (und manchmal schaue ich auch tatsächlich auf sie herab). Ich entschied mich innerlich für das lange Ralph Laurent-Kleid mit tiefem Ausschnitt. Das sieht bei kleinen Brüsten –  wie den meinigen –  gut aus, weil die Volants sich über die „flache” Brust ranken – die feine Wölbung tritt zu Tage; sowie Balenciaga’s – meine Arbeitsschuhe: Pechschwarze Wildleder-High Heels mit Gummiband zur Fixierung des Fußes. Ich habe breite Füße. Diese Schuhe quetschen sie schön ein und wegen des Gummizugs komme ich auch über Neuköllner Kopfsteinpflaster und Bahnübergänge…Kleine Körperveränderungen hin zum Herzklopfen.

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Rahel Kaléko                                                                  © hetaera

Dieser Kunde. So nennen wir die zahlungsbereiten und liebeshungrigen Männer. Er und ich. Wir schrieben uns. Es sind mittlerweile um die 200 E-Mails geworden…Kurze, Lange, Kleine, Große. Während der Arbeit, neben dem Sohn während Bayern München 3:0 macht…nachts nach der Dusche und vor dem einsamen Bett. Gespräche in der halben Stunde Freiheit im Auto über Fernsprechanlage laut meine Stimme im ganzen Autoraum vibriert und lacht. Es ist eine halbe Stunde, die auch ich sehr genieße. Er hat mir übrigens Geld angeboten für die Kommunikation. Da wir uns gerade wegen Corona nicht sehen können, habe ich das gerne angenommen. Ich schrieb ihm:

“Du bist doch reich und wegen Corona als Künstlerin habe ich viele Ausfälle und finanzielle Probleme”

aber schon nach “Du bist doch reich” brachen meine Kolleginnen beim Hetaera-Stammtisch in stürmisches Gelächter aus. Das ist schon frech! aber auch wahr! Und ich bin erstaunlicherweise (?) Anti-Kapitalistin obwohl ich der vielleicht (?) kapitalistischsten Arbeit der Welt nachgehe.

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Ich kopiere jetzt noch die letzten Zeilen seiner Mail von gestern. Ich…musste mich berühren. Noch nie war für mich Sprache, Schwung und Erotik und direktes Anfassen und Spüren und ein Loslassen zum Höhepunkt nach dem Lesen so zu spüren. Ich möchte es gerne mit euch teilen:

“..Herz klopft. Darf es das? Es kann über Bilder schreiben und was es da fühlt, das hat es auch gelernt, jetzt sieht es aber kein Bild, jetzt sieht es Dich.Es muss über Dich schreiben, Es kann ja nicht an Bilder denken, jetzt. Es will Dich berühren, zu Deinen Händen hin, ihnen folgen, über sie hinüber und um sie herum und darunter durch und es ist warm und es ist weich und es will halten und fühlen und es will einatmen und ausatmen.

Überall will es hin, ganz leicht entlang streifen, probieren, und mehr probieren und fester fassen. – “

Wie immer bei uns hat er das letzte Wort. Eigentlich ist er der, der frech zu mir ist.

Ist das Liebe? Oder ist das Arbeit?

Ist Liebe immer Arbeit?

Und ist die Liebe, die man sich durch Sexarbeit bezahlen lässt eigentlich immer umsonst noch oben drauf? Lassen sich Sex und Liebe trennen oder ist Sex immer gleich auch….Liebe?

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