Sex und Scham von Anfang an
Schon als Kinder lernen wir, unseren Schambereich zu bedecken. Auch, wenn wir ihn noch nicht so nennen, bekommen wir bald vermittelt, dass das „da unten“ tabu ist. Später dann, wenn das Schamhaar wächst und die Schamlippen interessant werden, erkunden wir die Schamgegend mit all der Neugier, die uns die Hormone ins Hirn schießen. Aber bitte unter der Decke. Und bloß nicht drüber reden!
Das führt dazu, dass wir uns für unsere Lust, unser sexuelles Ich und unsere Genitalien schämen. Und hier gibt es eine direkte Verbindung dazu, ob und wie wir Sex genießen können. Je mehr das „da unten“ mit Scham oder auch mit negativen Gefühlen verbunden ist, umso schwieriger ist es, beim Sex loszulassen und ihn in vollen Zügen zu genießen.
Verlasst den Schambereich!
Diese Schamkultur sollten wir schleunigst aufbrechen. Denn hinter diesem schweren Vorhang wartet all die Leidenschaft, die Befriedigung, das Glück und letztlich auch das ganze Leben. Um es mit Mandy Rondas Worten zu sagen: „Ich bin ein sexuelles Wesen!“ Und du auch! Sag’s ruhig mal laut. Wie fühlt sich das für dich an?
Und wenn es erst einmal da draußen ist, wird es Zeit, es mit aller nötigen und möglichen Neugier zu erkunden. Wie das geht? Bei uns selbst anfangen!
Wir starten mit einigen Fragen, die dir dabei helfen können, dein sexuelles Ich zu finden. Nimm dir Zeit, finde einen ruhigen Moment und beantworte sie für dich. Am besten schreibst du es dir auf, damit du es dir nachher nochmal alles durchlesen kannst. Los geht’s!
- Wann und wie möchte ich berührt werden?
- Was möchte ich beim Sex erleben? (zum Beispiel Befreiung, Hingabe, Zärtlichkeit,
- Nähe, Intensität, Aggression, Transzendenz, spirituelle Verbindung, Rebellion, Dominanz, Freiheit, Verantwortungslosigkeit)
- Riechen, Schmecken, Berühren, Sehen, Hören: Welches ist dein sexuellster Sinn?
Warum ist das so?
- (Körper-)Sprache: Wie signalisiere ich, dass ich sexuelle Lust verspüre?
- Was kann ich tun, dass mein Sexleben so aussieht, dass es mir guttut?
- Was war das beste sexuelle Erlebnis, das du je hattest? Warum? Was war entscheidend?
Du musst die Fragen nicht sofort beantworten. Vielleicht, weil es auch gar nicht immer so schnell geht. Das sexuelle Ich und alles, was damit zusammenhängt, ist schließlich nicht gerade präsent in unserer Gesellschaft. Doch auch, wenn es schwerfällt, sollten wir darüber reden (dann erst recht). Schluss mit der Scham, Goodbye zum Sex-Tabu und Adieu zum Stigma.
Ans Eingemachte: Wie wir mit unseren Partner:innen über Sex reden können
Nun bist du deinem sexuellen Ich höchstwahrscheinlich ein ganzes Stück näher gekommen. Du weißt, was dir gefällt, was du dir wünschst und was dich heiß macht. Schön und gut, wirst du sagen – doch wie soll ich das jetzt in meine Beziehung bringen?
In der Paartherapie hat es sich bewährt, dass beide Partner*innen mehrere offene Fragen beantworten und dann gemeinsam darüber sprechen. Es gibt dabei keine richtigen oder falschen Antworten. Schnapp dir also nochmal Stift und Papier und beantworte die folgenden Fragen – erstmal für dich selbst.
- Stell dir, ganz für dich, eine ideale Beziehung vor. Wie sieht sie aus? Und welche Rolle spielt Sex darin? Lass deine Phantasie einfach mit dir durchgehen – schreibe auch alles zu Häufigkeit, Stellungen, Orten und vielleicht auch zusätzlichen Sex-Partner*innen auf.
- Nun hast du ein Idealbild für dein Sexleben. Gibt es einen Unterschied zu deinem aktuellen Sex-Leben? Wie sieht er aus? In welchen Situationen oder an welchen Orten verspürst du Lust?
- Wie sorgst du in anderen Bereichen in deinem Leben (Freundschaften, Hobbies, Job etc.) dafür, dass für dich alles im Einklang ist?
- Wie unterscheidet sich diese Selbstsorge von den Dingen, die du für deine Sexualität tust?
- Was kannst du von den „anderen Dingen“ für dein Sexualleben lernen? Wie kannst du dafür sorgen, dass du dich auch um dein Sexleben so kümmerst, dass es gut für dich ist?
Let's talk about Sex!
Nachdem du und dein Partner oder deine Partnerin die Fragen für euch beantwortet habt, geht es nun ans Reden. Es ist dabei wichtig, dass ihr euch einen geschützten Raum schafft, an dem ihr euch wohlfühlt. Sorgt auch dafür, dass ihr beide genug Zeit habt, dass keine Termine mehr anstehen, dass ihr beide entspannt seid. Macht euch ein schönes Abendessen, vielleicht trinkt ihr einen Wein dazu oder hört eure Lieblingsmusik. Versichert euch gegenseitig, dass ihr euch respektiert und dass ihr euer Gegenüber nicht verurteilt für das, was er oder sie fühlt, denkt und wünscht. Denn nur so wird es möglich, dass ihr euch gegenseitig öffnet, ohne dabei Scham empfinden zu müssen. Wenn ihr diesen Safe Space geschaffen habt, könnt ihr eure Antworten besprechen.
Und nun?
Jetzt ist es wichtig, dass ihr eurem Partner oder eurer Partnerin offen zuhört, ohne dabei zu bewerten. Es geht nicht darum, Anforderungen zu stellen, sondern darum, sich zu öffnen und wahre Intimität zu erleben – ohne Scham und Schuld. Hört euch einfach gegenseitig zu und schätzt die Antworten des oder der Anderen wert. Nichts davon, was ihr besprecht, muss gleich umgesetzt werden. Lernt einfach das sexuelle Ich eures Gegenübers besser kennen. Das schafft einen neuen Grad an Intimität und Nähe und wird sehr wahrscheinlich langfristig zu positiven Veränderungen in eurem Sexualleben führen.
Und wenn das nicht geht?
Wenn das für euch noch eine Stufe zu heiß ist, könnt ihr euch erst einmal herantasten. Denn: Wer übt, wird besser! Beginnt ein Gespräch über Sexualität im Allgemeinen, vielleicht darüber, von welchen Stellungen ihr schon gehört habt oder auch welche Arten von sexuellen Identitäten es alles gibt. Das muss auch gar nicht direkt etwas mit euren Vorstellungen oder Phantasien zu tun haben. Hier geht es erst einmal darum, sich an das Thema heranzutasten. Dann könnt ihr euch auch gegenseitig offene Fragen über Sexualität stellen, um euch anschließend langsam auf die persönlichen Vorlieben zuzubewegen.
- Welche Stellungen kennst du?
- An welchen Orten könnte man überall Sex haben?
- Von welchen sexuellen Orientierungen hast du schon gehört?
- Gibt es etwas, das dich total abturnt oder was du komisch findest?
- Was würdest du selbst gerne einmal ausprobieren?
Auch Coaching kann helfen
Eine andere Möglichkeit ist es, dass ihr jemand Neutrales dazwischen schaltet, etwa eine*n Coach. Vorher schreibt ihr eure Wünsche und Phantasien, über die ihr euch noch nicht ganz zutraut zu sprechen in einem Brief. Sie oder er wird sich dann alles durchlesen und Dinge aussuchen, die zusammenpassen oder sich gut kombinieren lassen. In einer Coaching-Session werden sie dann angesprochen und keine*r der beiden Partner*innen muss Angst haben, dass etwas offenbart wird, was er oder sie nicht möchte.
Nur so, nämlich im Dialog mit Anderen, können wir es schaffen, das Stigma rund um Sexualität aufzubrechen – und zwar Stück für Stück.
Also: Schnapp dir deine*n Liebste*n und helft gemeinsam dabei, eure Sexualität von der Scham zu befreien. Es wird sich lohnen!
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