Haarig und Schön – die “Problematik” der Körperbehaarung

Seit Jahrhunderten schon ist es Aufgabe der weiblich gelesene Körper so haarlos wie möglich zu präsentieren. Zwar sind Achselhaare und Monobrauen mittlerweile schon fast im Mainstream angekommen, die haarlose gesellschaftliche Gewohnheit ist aber immer noch fundamental problematisch.

Als endlich ein lang überfälliger, ausgiebiger Tanz-Abend bevorsteht, kann ich es kaum erwarten, mich in mein hautenges gelbes Kleid zu werfen und meine mühsam wachsenden Haare zur Schau zu stellen. Viel zu lange schon habe ich mich nicht mehr so richtig herausgeputzt. Zusammenkünfte dieser Art sind immer ein glamouröses Ereignis und ich bin geradezu unvoreingenommen der Meinung: meine Freundinnen haben die schönsten Bärte dieses Kontinents. 

Das aufwändige Stylen der Bärte bedarf Raffinesse. Da ich blond bin, wächst mein Bart beispielsweise einfach nicht so dicht. Ich versuche immer ein wenig Bartfärbemittel mit in meine Pflegelotion zu geben, damit mein Barthaar voller wirkt. Wir benutzen Kämme in der Größe eines kleinen Fingers, um uns je nach Länge die Haare besonders schnurrig zu gestalten. Meine Kreation fällt spärlich aus. Schmal und im besten Falle elegant.

Der zweifelsohne beste Bartstil ist Magdalenas. Sie hat wunderschönes, langes und dunkles Barthaar, welches sie entweder zu endlosen Zöpfen flicht oder aber mit Gel in die Höhe wachsen lässt, wie eine stolze, eigenwillige Rose. Ihre Augenbrauen malt sie sich dann je nach Bart-Style in den wunderschönsten Farben auf, ihr Gesicht die Leinwand ihrer Kunst. 

Was mir an meinem gelben Kleid besonders gut gefällt, ist die perfekte Komposition mit meinen gold schimmernden, fein frisierten Beinhaaren. Selten konnten wir unsere Körper so uneingeschränkt feiern wie jetzt.

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Seit Jahrhunderten schon ist es Aufgabe der Frauen ihre Körper so haarlos wie möglich zu präsentieren. Es wird versucht sich mit geschliffenen Steinen, Pinzetten, Haarschabern, Zuckerpräparaten, Rasierklingen, Wachsstreifen, Epiliergeräten und Lasern in eine Nacktkatze mit Augenbrauen zu verwandeln. So wichtig es ist eine volle Haarpracht auf dem Kopf zu pflegen, so wichtig ist es am Körper seidenglatt zu sein. Wie fundamental problematisch diese gesellschaftliche Gewohnheit eigentlich ist, habe ich erst durch meine Recherche und Auseinandersetzung mit der Geschichte der Körperbehaarung verstanden.

Blond & Weiß

Wenn man das Internet über Körperbehaarung befragt, werden als historische Beispiele gerne Griechen, Römer und Ägypter genannt, die aus hygienischen und klassenspezifischen Gründen an der Beseitigung von Körperhaaren interessiert waren. Ohnehin wird die Hygiene gerne als das ausschlaggebende Argument genutzt. Doch auch wenn das zu manchen Zeiten vielleicht ein ganz klein wenig wahr war, die Geschichte des haarlosen Idealbilds ist durch und durch weiß. Das westliche Idealbild einer weißen, blonden, unbehaarten Frau wurde von der Zeit des römischen Reichs bis heute in die letzten Winkel der Erde getragen. 

Im Quajar-Iran (1785 -1925) jedoch war Schönheit weitestgehend geschlechterunspezifisch. In Bezug auf Körper- und Gesichtsbehaarung galten für Männer und Frauen ähnliche Schönheitsvorstellungen. “Zu dieser Zeit war der Schnurrbart ein ausgesprochen geschätztes Zeichen weiblicher Schönheit.” 

Gegenderte Schönheit

Erst durch das kulturelle Anprangern der Europäer*innen begann der Iran sich in ein binäres Geschlechtersystem mit binären Schönheitsidealen der westlichen Welt zu begeben. Europa und Nordamerika waren schon früh gut darin, Schönheit zu verweiblichen. Ursprünglich ungegenderte Symbole wie Engel beispielsweise wurden verweiblicht. Das führte unter anderem zur Heteronormativität von Liebe und Sex. “The male beloved [once adored], now feminized, became subject to ridicule.” Über die Jahrhunderte hinweg wurde kein Haar auf Körper und Kopf von aufwendigen Beseitigungspraktiken verschont.

Das Problem der Klassifizierung

Fehlende Körperbehaarung war schon immer ein Zeichen von „Zivilisiertheit“. Darum missbrauchten viele Wissenschaftler Darwins Evolutionstheorie. Sie propagierten, dass Rasse ein evolutionäres Kontinuum sei, in dem sogenannte “Wilde” (rassistische Kategorisierung) den Tieren näherstünden und weiße “zivilisierte” Menschen die am weitesten entwickelte Form des Menschen seien. So wurde Körperbehaarung als Merkmal für Animalität und Degeneration gesehen.

Als Frauen im 20. Jahrhundert anfingen zu arbeiten, wurde es vermehrt zur Strategie der Männerwelt, das weibliche Erscheinungsbild zu regulieren, um die Kontrolle über Frauen und den Kontrast zwischen Männern und Frauen beizubehalten. “Vor allem jüdische, italienische und osteuropäische Migrant*innen wurden von der Werbung für Röntgen-Epilation mit der Begründung angesprochen, dass die Körperhaarentfernung ihnen die Integration in das anglo-dominante Weiß-Sein ermöglichen würde.” (Alok Vaid-Menon)

Abbildung: Werbung L’Officiel lll Depilation und Beauty Center, Brasilien, 2015

Noch heute ist Körperbehaarung in Mainstream-Magazinen so verboten wie Nippel auf Instagram. Obwohl Monobrauen, Schnurrbärte und Koteletten seit einiger Zeit öfter, gerade in der queeren Community und auf Instagram, stolz präsentiert werden, gibt es noch immer viel zu tun. Als Künstlerin und Model Arvida Byström 2017 in einer Adidas-Werbung Beinhaare zeigte, erhielt sie über Monate hinweg Vergewaltigungs-Drohungen. In Filmen, Werbungen und Pornos haben wir in den letzten Jahrzehnten nichts anderes als nackte, glatte Körper präsentiert bekommen.

Ein bisschen Achselhaar wird akzeptiert, aber Beinbehaarung ist noch immer abstoßend. Schambehaarung darf seit einiger Zeit wieder natürlicher sein, aber eigentlich nur auf dem Venushügel, die Schamlippen sollen immer noch seidenglatt sein und das buschige Haar darf nicht rechts, links und oben aus dem Bikinihöschen herausquellen. Und was ist eigentlich mit Rücken- oder Brustbehaarung? 

Langsam aber sicher ändert sich vor allem in der Pornoästhetik einiges hin zur Normalisierung von Körperhaaren.

Und vielleicht können wir wieder zu dem Verständnis kommen, dass Körperbehaarung geschlechtslos ist, uns nicht den Tieren gleichsetzt und unbehaart nicht gleich feminin bedeutet.

Abschließend möchte ich sagen, dass auch ich noch lange nicht völlig losgelöst von unserem Nacktkatzen-Idealbild bin. Ich finde mich schöner mit rasierten Beinen beispielsweise. Trotzdem hoffe ich, dass ich mich und wir uns als Gesellschaft langsam aber sicher von der rassistischen, sexistischen und elitären Vorstellung der Körperbehaarung lösen können. Als Beginn kann ich wärmstens die Instagram-Accounts von Alok Vaid-Menon und Queen Esther empfehlen.

Literatur

Herzig, Rebecca M. (2015). Plucked: A History of Hair Removal. NYU Press.

Najmabadi, Afsaneh (2005). Women with Moustaches and Men without Beards: Gender and Sexual Anxieties of Iranian Modernity. University of California Press.

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