Die ökosexuelle (ecosexual) Community möchte die Erde nicht mehr als Mutter, sondern als Liebhaber*in sehen. Manche sogennante Ökosexuelle vermuten, dass sich unsere Beziehung zur Erde verändern würde, wenn wir Lust am Erdreich und den Samen und Pflanzen, die auf unserem immer heißer werdenden Planeten wachsen, spüren. Vielleicht wären wir Menschen bestrebter die Erde zu schützen und zu erhalten, wenn wie die Natur als erregende*n Sexualpartner*in wahrnehmen würden.
Was ist Ökosex?
Beim Ökosex steht ein bewusster Umgang mit Konsumgütern in der Sex-Industrie im Vordergrund. Die Produktion von Chemikalien freien Gleitmitteln und biologisch abbaubaren Sex-Spielzeugen soll gefördert werden. Aber beim Ökosex geht es nicht nur um Kristalldildos. Die ökosexuelle Community gibt es seit den frühen 2000ern. Richtig sichtbar wurde sie durch Dating Portalen, auf denen Menschen nach anderen Ökosexuellen zu suchten, mit denen sie die Natur und ihre Sexualität teilen konnten. Diese Bewegung ist notorisch performativ und veranstaltet gerne groß angelegte Hochzeiten zwischen Mensch und Erde, Bäumen oder manchmal auch Meeren.
Ihre Garderobe reicht dabei von Nacktheit, über Nymphen, bis hin zu Erscheinungen mit borkenartigen Kostümen. Wer schonmal in einer kleinen Hippiestadt an der australischen Küste, oder beim Burning Man Festival war, dem wird es vielleicht schwer fallen seinen Sarkasmus im Zaum zu halten. Das Bild lustvoller Baumliebhaber*innen beschwört da möglicherweise sofort einen Trommelkreis, Federohrringe und mit Patschuli parfümierte Vaginas herauf.
Die Kolonisierung durch weiße europäische Siedler hat unsere aktuelle Distanz zur Natur angefacht und erzwungen. Populationen, die einst die Schützer*innen biodiverser Ökosysteme waren, wurden umgesiedelt. Indigene Völker kämpfen um ihre Grundrechte und um sauberes Wasser, unverschmutze Ländereien und die Erhaltung ihrer heiligen Stätten. In vielerlei Hinsicht wirken zwei weiße Menschen, die die Erde heiraten, in einem Kreis von streng grünen ökosexuellen Enthusiasten, im Lichte der anhaltenden Schwierigkeiten der indigenen Bevölkerungen, die Welt der Natur zu schützen, schrecklich naiv. Wir müssen uns Fragen stellen. Es scheint notwendig, dass weiße Ökosexuelle, während sie ihre sexuelle Erweckung im Erdboden entdecken, auch dafür sorgen, dass sie die Wunden heilen, die ihre Vorfahren eben jener Erde zugefügt haben. Wir dürfen die Hüter nicht vergessen, die das Land sehr viel längere Zeit geschützt haben, als die weißen Kolonialisten brauchten, um es zu zerstören. Inwiefern kümmert sich die ökosexuelle Bewegung um Reparationen?
Natur und Sex
Die Natur ist nicht immer zugänglich. Die meisten von uns leben in dicht besiedelten Städten. Das nächste Fleckchen grün ist da oft ein übervölkerter Park. Manchmal muss man große Distanzen mit dem Auto zurücklegen, um unberührte Wildnis zu erleben. Die fehlende Leichtigkeit, mit der wir tatsächlich Zeit in der Natur verbringen können, stärkt die Online-Präsenz der Ökosexualität, mit einem eigenen Pornogenre, das ihr gewidmet ist. In Erika Lusts Film Fantasy Hotel, besucht die Protagonistin, eine Gärtnerin, ein Hotel. Als sie die Tür zu ihrem Zimmer öffnet, erwacht ein blauer und roter Garten zum Leben. Sie liegt im Bett, während der Garten anfängt um sie herum zu wachsen. Ranken winden sich um ihre Beine, fesseln und liebkosen sie. Ihr erotischer Garten wächst und atmet um sie herum. Sie wird von den Händen zweier nymphenartiger Menschenwesen berührt, deren Augen von Blätterkronen verdeckt sind und deren Münder über ihren Körper lecken und lustvoll nach ihr schnappen. Die Körper bewegen sich langsam und widmen sich jedem Körperteil des Hauptcharakters. Die Sinnlichkeit durchfährt sie sichtlich, als sei sie von einer externen Energiequelle unter Strom gesetzt worden, der sie nun durchfließt.
Die Szene ist sanft. Jede Berührung währt lange. Nichts ist schnell oder heftig. Das blaue und rote Licht bewegt sich über ihren Körper, die drei Körper werden zu einem, Erregung entsteht durch Intensität. Die Fantasie der Gärtnerin ist so real, das sie in ihrem geheimen Garten völlig eingeschlossen ist von der Natur. Sie spielt nicht dem Blick oder den Erwartungen der Geliebten entgegen, sondern versinkt vollständig in ihrer eigenen Lust. Die Natur entführt die Figur und erdet sie zugleich in ihrer eigenen Lust.
Die Natur hat keine Erwartungen an ‘die anderen’. Die Erde hat es nicht eilig. In der Ökosexualität geht es, abgesehen von der Lust an der Erde, auch darum, dass man lernt, dass die Lust im Selbst verankert ist. Sich in der Natur zu befinden und sie wahrzunehmen kann ein mächtiges Werkzeug werden, um den Körper und den Geist zu verbinden und beiden zu ermöglichen, dass Lust sie durchfließt. Sich selbst ein*e gute*r Geliebte*r zu sein ist schließlich das ultimative Geschenk.
Die erotische Begegnung mit der natürlichen Welt, wehrt sich gegen die Vorstellung, dass Sex dem hetero-normativen Paar zuzuordnen ist, das die Reproduktion der Spezies aufrechterhält. Erotizismus der Natur gegenüber zuzulassen und zu praktizieren, könnte die Zweiteilung zwischen dem Menschen als singuläre dominante Entität, und allen anderen Spezies als dessen formbare, zähmbare Untertanen, auflösen. Erotische Erfahrungen innerhalb der Natur fördern möglicherweise den Zusammenbruch der Vorstellung von der Erde als ein dem Willen des Menschen unterworfenes Subjekt. ‚‚Menschen’ sind weder reiner Ursprung noch bloßes Symptom, sondern Teil der Welt in ihrer unlimitierten Entwicklung.” Das Aufregendste daran, die Erde als Geliebte wahrzunehmen, findet sich vielleicht beim Dichter C.A. Conrad, wenn er beschreibt wie “der Körper die Wildnis erinnert’ und uns auffordert ‘in unser stilles, ungezähmtes Inneres einzutreten”.
Blumen, in ihren vielfältigen Iterationen: mit Blüten, die an Schamlippen erinnern und ihren Penisstängeln, wählen nicht zwischen dem einen oder anderen. Vielmehr bieten sie sich den Bestäubern offen an – nicht allein zur Fortpflanzung, sondern als üppige Darstellung ihres ganzen Seins. Ihre Fähigkeit unbegrenzt Düfte und elaborierte Formen, in ewig wechselnden Varianten zu bilden, ist eine Art Tanz mit der Anziehung. Sie würden sich nie dafür entschuldigen ‚zu viel‘ zu sein. Blumen flirten oft mit Insekten, Vögeln und Menschen und sie alle erfreuen sich an ihrer scheinbaren Frivolität. Es wäre allerdings zu einfach sie ausschließlich als flüchtige Organe der Anziehung zu betrachten. Sie trotzen unseren Begriffen von Geschlecht und Sexualität. Die Blumen verweigern sich in ihrer Welt dem Begriff von Zeit, verleugnen Dauerhaftigkeit und kehren in ihrer nächsten Saison, als neue Iterationen ihrer selbst zurück. Als Symbol unsterblichen Verlangens, bieten sie Schönheit in einer zerbrechlichen, aber trotzigen Geste, der ewigen Erotik dar. Den ökosexuell Neugierigen offenbaren Blumen ihr eigenes, zart knospendes und völlig unbeschreibliches Inneres.