“Moneyshot” oder “Cumshot”, klassische Heteropornos folgen einer klaren Choreografie, die meist damit endet, dass die weibliche Partei ins Gesicht ejakuliert wird. Ist das wirklich nur eine Machtdemonstration oder steckt da mehr dahinter?
Es mag etwas weit hergeholt sein, diese Frage mit Hilfe von Adornos Worten zu beantworten. Aber es ist ein günstiger Ansatz, das Phänomen von einem intellektuell-bürgerlichen Standpunkt aus anzugehen und den Porno aus seiner sogenannten “Schmuddelecke” herauszuholen. Man lässt umgekehrt den schändlichen Aspekt und solide Philosophie aufeinandertreffen.
Diese Auflösung erfolgt durch vermeintliche und stets überprüfbare Authentizität, die im Porno wichtig ist und somit durch die stolze Darstellung der Ejakulation bewiesen wird.
Theodor W. Adorno sagt Folgendes über Authentizität:
Authentizität ist der letzte verlässliche Bezugspunkt, wenn sich die Normen und Werte einer bekannten Welt auflösen. Und wie könnte man die Authentizität eines Pornos besser beweisen als durch die Darstellung der finalen Ejakulation. Die erste Reaktion auf “Ejakulation im Gesicht” würde etwas mit dem Aspekt der Erniedrigung der Frau durch die Aktion des Mannes zu tun haben. Das mag zum Teil stimmen, ist aber sicher nicht die einzige Begründung, wenn man das Phänomen umkreist. Denn wenn du den Akt nur als Demütigung siehst, dann ist die Ejakulation etwas Schmutziges und die Frau wird dadurch beschmutzt. Der Gedanke, dass eine Frau durch einvernehmlichen Sex, egal wie er aussieht, beschmutzt werden könnte, ist wirklich keine besonders fortschrittliche Idee und auch keine, die Frauen ihre eigene Art von Lust, Vergnügen oder Bedürfnissen zuschreiben würde.
Das ist das Spannende an der Welt der Pornografie: Sie ist ein sicherer Ort. Ein Ort, an dem Fantasien so realitätsnah sind, wie sie nur sein können. Denn Fantasien – und auch das sollte man sich vor Augen halten -, sind absolut nicht nur dann befriedigt, wenn sie erfüllt werden. Im Gegenteil: Nur weil jemand die Fantasie hat, bei einem sogenannten “Gangbang” mit vielen Männern gleichzeitig zu schlafen, heißt das noch lange nicht, dass er das auch in der Realität umsetzen will.
Das Grundprinzip von Pornos ist, dass alles, was darin passiert, real ist. Es geht um zwei Menschen, die echten Sex haben, bei dem man Penis und Vulva, Po-Löcher, Schweiß, Körperfalten und -flüssigkeiten sehen kann. Das große Finale und der absolute Beweis für die Authentizität ist die Ejakulation. Der dramaturgische und körperliche Höhepunkt sind auch die Endpunkte der Erzählung. Weil im klassischen Heteroporno das Ende mit dem männlichen Orgasmus kommt, während sich bei einer traditionellen Dramastruktur die Geschichte nach dem Höhepunkt ändert, kommt der Porno dann zum Stillstand und Ende. Die Erzählung bewegt sich von Höhepunkt zu Höhepunkt.
Aber warum landet der Höhepunkt immer im Gesicht der Frau? Dass ein Mann sich selbst oder seine Umgebung als Leinwand für diese Jackson-Pollock-ähnlichen Gemälde benutzt, kommt eigentlich nicht vor – zumindest nicht in Heteropornos – und es scheint auch nicht beabsichtigt zu sein, dass der Mann auf der Frau kommt. Irgendetwas würde dem Publikum vorenthalten werden.
Im klassischen Porno sind die Körper glatt, die Po-Löcher gebleicht, die Penisse gestutzt und nirgends ist ein Haar zu sehen. Elegant wie Turner und keuchend wie Boxer vollführen die Darsteller eine höchst anspruchsvolle Runde Athletik und Sport. In diesem Setting, das oft mehr an eine Turnhalle erinnert als an das dunkle erotische Dickicht, in dem sich die Realität bewegt, ist die frei fliegende Ejakulation vielleicht auch ein letzter anarchischer Gruß einer Kraft, die sich weder einfangen, noch kontrollieren oder regulieren lässt.
In einer Welt, die die Kontrolle über den Körper als Ästhetik verkauft, muss man den freien Abschuss wohl als letzte Bastion des unerklärlichen Geheimnisses des menschlichen Körpers verstehen. Außerdem hinterlässt das Kommen auf dem Gesicht das Gefühl, akzeptiert zu werden. Denn wenn du aus Scham auf den Rücken oder die Brüste deines Partners kommst, dann hat das eine andere Wirkung. Das Gesicht ist aufgrund seiner Öffnungen verletzlich. Wir stecken uns mit Krankheiten an, tauschen nonverbale Informationen aus, sprechen und sind durch es in Kontakt mit der Welt.
Im Moment müssen wir unser Gesicht mit Masken bedecken, um uns und unsere Umwelt zu schützen. Das macht uns auch bewusst, wie viel wir tatsächlich über unser Gesicht kommunizieren. Es reicht nicht aus, jemandem in die Augen zu sehen, um die Person vor dir zu erkennen. Und so ist auch die Geste des Spermas, das in ein Gesicht fliegt, ein Akt der absoluten Hingabe an den Partner, der starkes Vertrauen erfordert und vielleicht gerade deshalb für viele so erotisch ist.
Da der Porno – wie er bisher genannt wurde – eher eine sportliche Leistung als echten Sex suggeriert, wirkt er wie Kaffee ohne Koffein oder Butter ohne Fett; seiner eigentlichen Substanz beraubt, wie der Philosoph Jean Baudrillard die Hyperrealität beschreibt, die oft zur Interpretation des Zustands der bildfixierten Medien und der intensiven Informationsgesellschaft verwendet wird. In diesem Fall ist das Sperma das Einzige, das den Film in einer realen menschlichen Welt verankert. Denn ohne Sperma könnten auch zwei Sexroboter interagieren. Das Sperma suggeriert Menschlichkeit.
Baudrillard erklärt die Welt als eine Reality-Show, die ihr Wesen verloren hat und nur noch aus Chiffren besteht. Das Sperma kann dann auch als solches gelesen werden. Ein Code für Menschlichkeit, für Freiheit und ein letzter Gruß aus einer Welt, in der Körper trotz aller Selbstoptimierung immer noch fremd und manchmal eklig sind und wir sie aufregend und ja, auch erotisch finden.
In einer Welt, die sich immer weiter vom menschlichen Körper entfernt und die vielleicht schon bald von künstlicher Intelligenz, Unternehmen, in denen soziales Einfrieren die Norm ist, und vollständig kontrollierten Smart Cities belebt wird: Das frei geschrieene Geheimnis ist vielleicht das letzte Aufbäumen einer langsam verschwindenden Anarchie des Körpers.
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