Konsens ist Sexy

Nadine Primo ist Autorin und Aktivistin. Ihre Arbeit konzentriert sich auf weibliche Lust, offene Beziehungen, sexuelle Offenheit, psychische Gesundheit und Nachhaltigkeit. Wir zeigen euch hier unseren Lieblingsausschnitt aus ihrem neuen Buch 'Konsens ist Sexy'.

Grenzen setzen will gelernt sein

Mir ist bewusst, dass meine Rolle als Bi-Aktivistin und Frau, die sich öffentlich mit Sexualität und Beziehungen auseinandersetzt, viel Angriffsfläche bietet. Regelmäßig erhalte ich zahlreiche sexistische Kommentare und auch Beleidigungen als Feedback auf meine Arbeit, wodurch ich merke, wie viel leider immer noch falsch läuft und woran wir dringend arbeiten müssen. Und zwar daran, patriarchalische, rassistische sowie sexistische Machtstrukturen aufzubrechen, die Gleichstellung aller Ge- schlechter voranzutreiben sowie ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was okay ist und was nicht.

Immer wieder schreiben Leser*innen, sie wären auch gern so tough und selbstbestimmt wie ich, doch damit ich trotz Anfeindungen weiterhin öffentlich über Sex sprechen kann, musste ich selbst lernen, Grenzen zu setzen und darauffolgende negative Reaktionen nicht so nah an mich heranzulassen.

Wer viel datet, gelangt auch eher mal in unangenehme Situationen. Viele Dates, ein unerwünschter Überraschungsgast, einige skurrile Begegnungen im Waschsalon sowie im Park und (mindestens) eine toxi- sche Beziehung später, rückte das Thema Konsens immer mehr in den Fokus meiner Arbeit. Warum? Weil es eben nicht immer einfach ist, seine Bedürfnisse zu kommunizieren oder »Nein« zu sagen. Auch ich habe mich in unangenehmen Situationen wiedergefunden, in denen ich mich hilflos fühlte und nicht so recht wusste, wie ich reagieren sollte.

Neinsagen war eigentlich nie mein Problem, dachte ich. Jetzt kann ich es wirklich. Die Erlebnisse, die ich hatte, halfen mir dabei, mir da- rüber bewusst zu werden, inwiefern ich mich schützen kann und muss. Dinge, die für mich selbstverständlich sind, sind es eben nicht für je- den Mensch. Mein Gegenüber kann mir weder meine Wünsche noch meine Ängste von den Lippen ablesen, daher bin ich selbst dafür ver- antwortlich zu kommunizieren, was mir (so gar nicht) passt. Was nicht heißen soll, dass »nichts sagen« mit einem »ja« gleichzusetzen ist. »Wer schweigt, stimmt zu« hat hier nichts zu suchen.

Aber warum fällt es einem trotzdem manchmal so schwer? Ein »Nein« hat immer etwas Zurückweisendes an sich, und das wollen wir, in den meisten Fällen, am wenigsten: jemanden zurückweisen, ein schlechtes Gefühl geben. Darüber hinaus ist es nicht immer leicht, die eigenen Bedürfnisse zu kennen. Gerade beim Sex befinden wir uns oft- mals auf unsicherem Terrain, denn hier kommt die »nackte Wahrheit« zum Vorschein. Ein Zustand, in dem wir uns besonders zerbrechlich und angreifbar fühlen – die eine mehr, der andere weniger.

Aber was ist Konsens überhaupt und wann genau ist der Moment, in dem ich mir die Bestätigung einhole oder Grenzen setze? Das möchte ich im Folgenden an einigen persönlichen Beispielen, die mir in den letzten Jahren widerfahren sind, genauer beleuchten.

Spoiler: Es kann dafür höchstens zu spät sein, aber niemals zu früh. Außerdem ist es okay, seine Meinung zu ändern und mittendrin auf- zustehen, wenn einem etwas gegen den Strich geht. Selbst ein inniger Kuss ist kein Freifahrtschein fürs Grabschen, geschweige denn eine Zu- sage für einen Blowjob. Als empathische Wesen sind wir in der Lage dazu – oder sollten es zumindest sein –, gewisse körperliche Anzeichen wie Blicke, Atmung, Entspannung, aber eben auch Anspannung nicht nur bei uns, sondern auch unserem Gegenüber zu spüren und zu deuten. Ansonsten einfach fragen oder der anderen Person wenigstens den Raum geben, sich zu äußern. Es kann nämlich überfordernd sein, wenn eine Zunge wild in deiner Mundhöhle wühlt und du in die Couch oder gegen eine Wand, wahlweise auch Tür, gedrückt wirst.

Aber leider gibt es auch Situationen, in denen wir gar nicht die Wahl haben, uns im Vorfeld zu äußern, zum Beispiel weil wir nicht bei Bewusst- sein sind oder unter Drogeneinfluss stehen, wie die folgende Geschichte zeigt. Es ist mittlerweile zwei Jahre her, aber dennoch ploppen die Erinne- rungen an diese Nacht auch heute noch in meinen Gedanken auf.

Nach einem gelungenen Abend mit meinen norwegischen Mitbewoh- nerinnen schaffte ich, zu Hause angekommen, noch mich zu waschen und umzuziehen, bevor ich betrunken und müde ins Bett fiel, wo ich auf der Stelle einschlief. Irgendwann, keine Ahnung wie viel Uhr es war, wachte ich auf und war immer noch total benebelt. Im Zimmer war es stockdunkel. Plötzlich merkte ich im Halbschlaf, dass ich nicht allein im Bett war. Jemand machte an mir rum! Ich wurde am Nacken geküsst und fühlte, wie mein Rücken und meine Brüste gestreichelt wurden.

Ich wusste nicht, ob ich noch träumte oder wirklich wach war. Kurz dachte ich sogar, dass ich vielleicht jemanden von der Party »abgeschleppt« und es einfach nur vergessen hatte – ich hasse diese Formulie- rung, weil sie eine Form von Passivität suggeriert, die das Gegenüber im gleichen Atemzug zum Objekt degradiert; abgeschleppt werden norma- lerweise Autos. Dann verfiel ich in Schockstarre, weil ich dachte: Das musste ein Einbrecher sein. Ein Vergewaltiger!

Als er mich auf Englisch fragte, ob ich ein Kondom hätte, löste sich meine Starre. Ich sprang auf und flüchtete ins Badezimmer, wo mir eines klar wurde: Meine Mitbewohnerinnen mussten heimgekehrt sein und noch jemanden mitgenommen haben, der sich dann wohl in der Tür geirrt hatte.

© 2023 des Titels »Konsens ist sexy« von Nadine Primo (978-3-7474-0512-3) by mvg Verlag, Münchner Verlagsgruppe GmbH, München. Nähere Informationen unter: www.m-vg.de

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