Persönliche Informationen über Girl on the Net zu erhalten, gestaltet sich schwieriger als gedacht. Für ihre Selbstbeschreibung reichen ihr zwei Sätze: Sie sei “ein Mädchen im Internet. Und sie schreibt über Sex.” Ihr Aussehen, Name und Alter bleiben geheim, nur ein paar Fotos von ihr deuten etwas an. Sollte man anhand ihrer Bilder oder ihrer Stimme ihre Identität aufdecken, bittet sie darum, nichts auszuplaudern. Warum diese Geheimniskrämerei?
Girl on the Net hat es sich zur Aufgabe gemacht, Mythen und Stigmata rund um weibliche Sexualität zu brechen, und zwar indem sie genau darüber schreibt: mal hardcore, mal liebevoll und immer wieder wunderbar pointiert und frech. Zahlreiche sexy Blogeinträge und zwei Bücher stammen aus ihrer Feder, außerdem sehr erotischer Audio Porn, der mit ihrer eigenen Stimme vertont wurde.
Ein Interview mit Girl on the Net über Stigmata, Anonymität, Einvernehmlichkeit und ihren besten Sex Tipp.
Hallo Girl on the Net, seit vielen Jahren schreibst Du explizit und pointiert über (Deine) Sexualität und trägst damit in wichtiger und erotischer Weise zur Stärkung der weiblichen Sexualität in der Gesellschaft bei. Wir folgen Deinem Blog schon lange und freuen uns sehr darüber mit Dir über Deine inspirierende Arbeit zu sprechen zu können.
Wir beginnen mit einer kurzen Frage: Nenne uns drei Wörter, die Deinen Blog beschreiben.
Versaut. Lustig. Feministisch.
Aus welchen Gründen hast Du mit girlonthenet.com angefangen?
Ich wollte einige der herkömmlichen Annahmen, die die Leute oft über Sex haben, auseinandernehmen. Besonders die Vorstellung, dass Sex etwas ist, das Männer wollen und das Frauen ihnen im Austausch für Liebe und Sicherheit geben. Ich genieße Sex und war schon immer kinky. Außerdem erzähle ich einfach gern Geschichten – ich konnte meine Freund*innen nicht ewig mit meinen Fabeln vom ‚Fehlgeschlagenen Dreier‘ oder dem ‚Geglückten Abenteuer mit der Sex-Maschine‘ beglücken, also schrieb ich sie einfach online auf. Ich wünsche mir, dass ich allen, die auf die gleichen heißen, einvernehmlichen Sachen stehen wie ich, das Gefühl geben kann, etwas weniger allein zu sein.
Warum brauchen wir eine Website, die sich fast ausschließlich mit weiblicher Lust beschäftigt?
Ich glaube, wir können gar nicht genug über Lust und Sex sprechen. Eine Vielzahl unserer Gespräche über Sex drehen sich vor allem um die Empfängnis, was seltsam ist, wenn man mal darüber nachdenkt: wie oft haben Menschen ausschließlich Sex, um Kinder zu zeugen, im Gegensatz zu dem Sex, den Menschen nur zum Spaß haben? Wir reden nicht genug über Lust und über Lust zu sprechen, inspiriert die Menschen dazu, über ihre eigene Lust nachzudenken.
Mit welchem Frauenbild bist Du aufgewachsen und wie beeinflusst das Deine Arbeit und Deine Sexualität?
Als ich Sex für mich entdeckte, waren gerade ‘Männermagazine’ sehr in Mode, in denen Frauen oft als Objekte dargestellt wurden. Gleichzeitig waren die Frauen, die in diesen Magazinen interviewt und vorgestellt wurden, oft diejenigen, die sich ihrer Sexualität bewusst waren, sie annahmen und genossen und sich dafür nicht beschämen ließen. Ich glaube, eine Frau in unserer Gesellschaft zu sein, bedeutet oft diese Dualität zu verstehen und damit zu arbeiten – von uns wird erwartet zurückhaltend und unschuldig, aber gleichzeitig zutiefst sexuell zu sein. Wir sollen ermächtigt und positiv und unabhängig und stark sein, werden aber gleichzeitig auch für genau diese Dinge beschämt.
Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir uns als Frauen darauf konzentrieren, was wir als Individuen wollen, um sicherzustellen, dass die nächste Generation von Frauen für sich selbst definieren kann, was Weiblichkeit für sie bedeutet.
Du schreibst, dass Du viele Briefe erhältst. Warum glaubst Du, ist Dein Blog für so viele Menschen von Interesse?
Ich schreibe viel über Feminismus und das zieht oft Kommentare und E-Mails von Männern an, die nicht verstehen, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter auch für sie riesige Vorteile bereithält und die den Feminismus als persönliche Kränkung wahrnehmen. Dann schreiben mir Menschen, die meine Geschichten gelesen haben und selbst Sex-Blogs schreiben wollen – die liebe ich! Ich kriege auch schöne Mails und Kommentare zu den erotischeren Sachen, die ich schreibe – die habe ich am liebsten.
Auf deinem Blog finden sich Texte mit Titeln wie “Gruppensex vs GangBang: Wo liegt der Unterschied? “ und “Wenn ‘der Eine’, ‘der Einzige für mich’ wird”. Wie viel, von dem was Du schreibst, ist autobiografisch?
Als ich mit dem Blog anfing, war das meiste autobiografisch – ich erzählte wahre Sexgeschichten, die ich erlebte, oder erlebt hatte. Heutzutage ist das vielleicht 50/50. Generell schreibe ich aber lieber wahre Geschichten auf, weil ich den Prozess total genieße herauszufinden, warum genau etwas heiß ist.
Über welches Thema schreibst Du am meisten und warum?
Darüber wie ich meinem Partner beim Wichsen zugucke! Hier auf CHEEX habe ich auch eine von meinen vielen Stories darüber veröffentlicht (mututal wank).
Ich habe nie ganz verstanden warum ich das so heiß finde, genauso wie ich nie verstanden habe warum Hetero-Männer es grundsätzlich lieben mir beim Masturbieren zuzugucken, aber immer völlig baff sind, wenn ich ihnen dann auch zusehen will. Es ist einfach phänomenal scharf.
Deiner Website zur Folge ist Dir Deine Anonymität sehr wichtig. Du hast einen ganzen Artikel darüber geschrieben. Glaubst Du, dass Frauen noch immer für ihre Arbeit in der Erotik Industrie stigmatisiert werden?
Definitiv! Es ist lächerlich und unmoralisch Frauen dafür zu stigmatisieren, aber es findet immer noch und überall statt und das ist scheiße. Bei mir ist das aber nicht so schlimm wie bei Kolleginnen aus dem Visuellen oder bei anderer Sexarbeit.
Es gibt aber auch viele andere Gründe dafür anonym zu bleiben, nicht zuletzt weil ich nicht möchte, dass meine Großeltern in einem Blog darüber stolpern wie ich von hinten und vorne durchgenommen werde.
Was als Hobby begann, ist jetzt Dein Vollzeitjob. Ich stelle mir vor, dass Du den ganzen Tag mit Sex-Themen beschäftigt bist — fühlst Du Dich jemals davon übersättigt? Wenn Du Dich die ganze Zeit mit Sex beschäftigst, verändert das dann die Art was für Sex Du hast und willst?
Ja, auf jeden Fall! Es gibt immer wieder Zeiten, in denen ich kaum einen Blogpost zustande bringe und ziemlich im Mußtopf sitze (und zwar nicht auf eine sexy Art) und natürlich ist Sex manchmal das letzte, was ich will. Genauso ist es bei meinem Partner – vielleicht schläft seine Libido gerade dann, wenn ich einen neuen Kink ausprobieren will. Wir versuchen deshalb so offen und ehrlich, wie es nur geht, miteinander zu kommunizieren was wir wann warum wollen.
Was ist Dein bester Tipp für großartigen Sex?
Wenn Ihr in einer Beziehung seid, ist mein bester Tipp euren Partner*innen jedes Mal, nachdem ihr Sex hattet (oder worauf Ihr so steht), ein Kompliment zu machen. Sag: “Ich fand das total geil als Du …” oder “Das, was Du da am Anfang gemacht hast, das war HEIß!” Das regt die Kommunikation an, gibt Euren Partner*innen ein gutes Gefühl und macht es ihnen leichter, Euch ebenfalls zu sagen, was ihnen gefallen hat.
Das geht auch bei einem One-Night-Stand oder etwas Unverbindlichem, dann würde ich aber noch direkter kommunizieren. Fragt Eure Partner*innen was er mag und sagt ihnen was ihr mögt. Versucht die Kommunikation auch während des Sex’ aufrecht zu erhalten, nicht nur davor. Ihr müsst nicht schweigen!
Was denkst Du über sexuellen Widerwillen? Ging Dir das schonmal länger so und was würdest Du zu Frauen sagen, die sich so fühlen?
Meinst Du mit Widerwillen, wenn man sich nicht sexy fühlt? Das ging mir mal so als meine Angststörungen überhand genommen hatten und ich Medikamente nehmen musste. Obwohl sie mir halfen, haben die Pillen auch meine Libido gekillt und mich anorgasmisch gemacht. Etwa sechs Monate lang hatte ich das Gefühl keine Lust empfinden zu können – das war total beängstigend. Aber ich habe dann ein paar fantastische Sextoys ausprobiert und mein Partner war sehr verständnisvoll und geduldig und hat mir geholfen und schließlich konnte ich wieder einen Orgasmus haben.
Allen die etwas Ähnliches durchmachen, würde ich ans Herz legen, sich nicht unter Druck zu setzen. Nehmt Euch Zeit, hört auf Euren Körper und findet heraus was Ihr braucht. Lest ‘Enjoy Sex: How, when and if you want to’ von Meg-John Barker und Justin Hancock und lasst Euch frei von Erwartungen auf Eure Sexualität ein.
Die sexuellen Erfahrungen, über die Du in Deinem Blog schreibst, sind oft alles andere als unschuldig, aber immer einvernehmlich. Dank #MeToo wurden die Rechte von Frauen gestärkt. In Schweden gilt jetzt jeder Sex ohne das ausdrückliche Einverständnis beider Partner als Vergewaltigung. Wie genau integrierst Du Einvernehmlichkeit in Dein Sexualleben?
Darauf gibt es eine einfache und eine komplizierte Antwort. Die einfache lautet: ‘Kommunikation’ – mein Partner und ich sprechen viel über den Sex, den wir wollen, hatten und über alles dazwischen.
Die komplexere Antwort beschäftigt sich damit, dass ich nicht glaube, dass irgendjemand vollkommen einvernehmlichen Sex haben kann, weil es immer verschiedene Einflüsse geben wird, die uns das Gefühl geben, Sex auf eine bestimmte Weise haben zu müssen. Unsere Gesellschaft lehrt uns alle möglichen schädlichen Ansichten darüber, wie Sex zu sein hat, obwohl Sex etwas zutiefst persönliches und für jeden anders ist und wir nur in eine Situation geraten können, in der Sex für alle Beteiligten lustvoll und einvernehmlich ist, wenn wir uns mit gegenseitigem Respekt begegnen.
Hast Du durch die am meisten aufgerufenen Artikel und Audio-Porn-Dateien auf Deiner Seite etwas über die Vorlieben Deiner Nutzer*innen gelernt? Und erfüllt das Ergebnis Deine Erwartungen darüber, was Frauen am meisten anmacht?
Welche Pornos einem gefallen ist zutiefst persönlich und hängt von vielen Faktoren ab. Ich möchte den Geschlechtern da nichts zuordnen. Generell sind atmosphärische Geschichten immer am beliebtesten, in denen es nicht nur darum geht wie der Sex ablief, sondern auch um das ‚Warum?‘. Darum geht es mir auch im Porno – Ich will den Leuten nicht einfach beim Bumsen zugucken. Ich will wissen warum sie bumsen, was sie füreinander fühlen: Hat ihre Beziehung etwas intensives oder verbotenes? Es sind all die chaotischen Emotionen, die Sex erst so richtig scharf machen.