Guide: Alternative Beziehungskonzepte

Zeiten ändern sich… wie wir unsere Beziehungen leben wollen offensichtlich auch! Alternative Beziehungskonzepte sind zwar nichts Neuartiges, dennoch derzeit aktuell wie selten zuvor.

Natürlich hat bereits die 68er-Bewegung die „Freie Liebe“ propagiert und teilweise in Form von kommunen artigen Gebilden, mal mehr mal weniger erfolgreich, umgesetzt. Der Gedanke, mehr als einen Menschen zu lieben und gemeinsam in einer Gemeinschaft harmonisch und gleichberechtigt zusammenzuleben; Kinder großzuziehen und füreinander da zu sein, ist, zugegeben, mehr als verlockend. Oder etwa nicht? In der Theorie klingt das super logisch, in der Realität hingegen wirkt es oftmals utopisch. Natürlich hat nicht jede/r Lust mit mehreren Menschen unter einem Dach zu leben. Muss man aber auch nicht.

Alternative Beziehungskonzepte teilen in erster Linie eine Gemeinsamkeit: kein sexuelles Exklusivrecht und ein hohes Maß an Offenheit und Kommunikation als Grundvoraussetzung.

Alternative Beziehungskonzepte teilen in erster Linie eine Gemeinsamkeit: kein sexuelles Exklusivrecht und ein hohes Maß an Offenheit und Kommunikation als Grundvoraussetzung. Schließlich geht es hier (oftmals) um mehr als zwei Parteien. Monogamie scheint nicht mehr ins aktuelle Zeitgeschehen zu passen. Die ZEIT titelte bereits 2012 „Monogamie: Die große Lüge“ und in diesem Jahr „Monogamie: Die große Illusion?“

Aber warum fällt es (einigen von) uns so schwer, sich vom Mono-Mainstream freizusprechen und auch innerhalb einer Beziehung weiterhin gehegtes sexuelles Interesse mit anderen auszuleben, oder besser noch: mehr Menschen als nur einen zu lieben? Liebe ist wandelbar, unerschöpflich und allgegenwärtig. Man kann sie nicht in ein Raster pressen, denn dann würde man sie ihrer Fülle berauben. Es gibt sie in so vielen Facetten: freundschaftlich, mütterlich, romantisch, platonisch… Auf unsere Freunde sind wir doch (eigentlich) auch nicht eifersüchtig, wenn sie sich mit anderen Menschen treffen und Spaß haben. Nicht nur Sex macht Spaß und verbindet Menschen – tiefe Gespräche, Verständnis, gemeinsame Erlebnisse und Anerkennung auch.

Am Ende sind es doch immer wieder die gleichen Fragen, die im Kontext „offene Beziehung“ bei den meisten aufkommen und für Unsicherheit und Verwirrung sorgen:

Bedeutet „offen leben“ automatisch „poly sein“?

Nein. Eine offene Beziehung bedeutet in erster Linie, dass hier Dritte als Affären oder einfach nur sexuelle Abwechslung/Abenteuer dienen. Polyamour zu leben bedeutet hingegen, zu mehreren Menschen eine Art Liebesbeziehung zu führen. Eine offenes Beziehungskonstrukt impliziert diese romantische Komponente nicht zwangsläufig.

Polyamorie grenzt sich also durch folgende Merkmale von anderen nicht monogamen Lebensstilen ab: 1. Poly ist nicht „Betrügen“; 2. Poly ist nicht patriarchale Polygynie; 3. Poly ist nicht Swinging; 4. Poly bedeutet, mehr als einen Menschen romantisch zu lieben.

Liebt man sich einfach nur nicht so richtig und will sich so alles offenhalten?

Die Frage ist in meinen Augen völlig obsolet, zumal weniger Rahmenbedingungen oder Einschränkungen (sexuelles Exklusivrecht) ein großes Maß an Vertrauen bedeuten und somit mehr Toleranz und weniger KO-Kriterien implizieren. Jeder Mensch liebt auf seine (Eigen-)Art und (Verhaltens-)Weise. Wenn sich zwei Menschen finden, die auf die gleiche Weise lieben, ist das ein wunderschönes Geschenk. Zu lieben bedeutet meiner Meinung nach auch, den/die Partner/in „gehen zu lassen“ und darauf zu vertrauen, dass er/sie wiederkommt. Zusammen wachsen, statt zusammenwachsen.

Außerdem: Festlegen hat immer etwas Absolutes und geht es im Leben nicht eigentlich darum, im Moment zu leben? Also für mich steht fest, dass ich meine Beziehung so lebendig leben will wie das Leben. Es kommt schließlich immer anders als Mann und Frau denken.

Läuft man nicht Gefahr, den Fokus zu verlieren, wenn man sich nicht ausschließlich auf einen (Geschlechts-)Partner konzentriert?

In einer offenen Beziehung, in der sich beide Parteien gegen ein sexuelles Exklusivrecht entschieden haben, geht es bei den auswärtigen Schäferstündchen in erster Linie um Abwechslung, denn die macht ja bekanntlich Freude. Gegen den allgemeinen Tenor sprechend, ist man eben nicht auf der Suche nach etwas Besserem, sondern einfach nur nach jemand anderem.

Warum auch? Schließlich legt der/die eigene Partner/in einem ja keine Steine in den Weg und toleriert die temporären Ausflüge in fremde Betten. Für eine kurze Zeit eben. Natürlich bestätigen Ausnahmen die Regeln, denn sobald Bedürfnisse innerhalb der Beziehung nicht mehr befriedigt werden und Dates fortan eine Gefahr darstellen könnten, müssen die Karten eben auf den Tisch gelegt werden -ebenso wie in einer monogamen Beziehung. Fremdgehen kann dort auch in den meisten Fällen nur mit Offenheit und Ehrlichkeit verhindert, oder zumindest im Nachhinein erklärt werden.

Darüber hinaus finde ich es naiv zu glauben, dass ein Mensch allein für die Gesamtheit der eigenen Bedürfnisse „aufkommen“ muss/soll. Ist das nicht ganz schön viel Druck, den man seinem/r Partner/in auferlegt? Sind das nicht eine Menge Erwartungen, die nicht erfüllt werden könnten? Enttäuschung vorprogrammiert. Im Alltag sehnen wir uns doch auch öfters nach mehr Freiheit; Abwechslung, Selbstverwirklichung etc. Warum dann nicht auch in der Liebe?

Gibt es denn so etwas wie Eifersucht in offenen Beziehungskonzepten gar nicht? Und wenn ja: wie geht man mit ihr um?

Oh doch! Auch in einer polyamorie und offenen Beziehungen gibt es Eifersucht. Die Frage sollte demnach lauten, wie man damit umgeht. In alternativen Beziehungskonzepten steht nicht das Was, sondern das Wie im Fokus der Diskussion. Es geht also nicht darum, dass man mit jemand anderem geschlafen hat/intim wurde, sondern wie das Ganze von statten ging. Wie habe ich das Ganze kommuniziert? Wie habe ich meinen Partner vor unangenehmen Gefühlen geschützt und (Verlust-)Ängste genommen?

Die Antwortet lautet also definitiv: Ja! Aber da Eifersucht kein schönes Gefühl ist und lähmend wirken kann, ist es eine bewusste Entscheidung sich mit ihr zu befassen. Gefühle ändern sich: Sie bringen einen um den Verstand; sie flachen ab; sie kommen wieder; sie verschwinden schließlich oder verwandeln sich im Laufe der Zeit in ein kaum merkliches Zwicken, welches einen lediglich noch an die anfänglichen Qualen erinnert. Klar erlebt man auch unschöne Zeiten voller Selbstzweifel sowie Verlustängsten und selbstverständlich gibt es auch Phasen, in denen einen die nächtlichen Ausflüge des Partners echt zu schaffen machen.

„Setzen wir uns an die Stelle anderer Personen, so würden Eifersucht und Hass wegfallen, die wir so oft gegen sie empfinden; und setzten wir andere an unsere Stelle, so würde Stolz und Einbildung gar sehr abnehmen“ (Goethe)

Aber am Ende ist doch nichts umsonst im Leben und so ein angelerntes bzw. anerzogenes Verhalten (kapitalistisches Besitzdenken) verabschiedet sich eben auch nicht über Nacht. Aber sobald auch in der letzten Hirnregion die Botschaft angekommen ist, dass der Partner/die Partnerin auch am nächsten Tag wieder lächelnd vor einem sitzt und alles seinen gewohnten Gang geht, ebben auch die negativen Emotionen dem ganzen gegenüber ab. Und irgendwann kannst du dich sogar für deinen Partner freuen, wenn er gut gelaunt mit frisch poliertem Selbstbewusstsein oder einfach nach einer witzigen, feucht und fröhlichen Nacht nach Hause oder zum nächsten Treffen kommt. Mitfreude -echt ein schönes Wort.

Gibt es dennoch Regeln, Grenzen, Orientierungswerte…?

Das entscheidet jedes Paar für sich selbst, denn jeder Mensch hat unterschiedliche Grenzen. Was dem einen höchstens ein unangenehmes Zwicken in der Magengegend verursacht, kann für den anderen bereits ein emotionales Total-Fiasko sein. Wichtig ist hierbei: Sprecht miteinander! Es gibt verschiedene Varianten eine offene Beziehung zu führen. Manche Paare daten lediglich auf Reisen, wenn einer von beiden allein unterwegs ist. Andere wiederum nehmen sich das Versprechen ab, immer im Vorhinein Bescheid zu geben, wenn ein Date außer Haus ansteht. Wieder andere wollen nichts wissen und nehmen ihrem geliebten Menschen lediglich das Versprechen ab, sich zu melden, sobald es „bedrohlich“ wird. Einige Paare erzählten mir auch, dass sie bewusst Affären vermeiden und ihre externen Bettgeschichten höchstens einmal zu Gesicht bekommen. Ein Veto-Recht halten manche für nötig, andere wiederum für Schikane. Am Ende gilt: Gleiches Recht für alle! Solange beide ihre Grenzen offen kommunizieren, und darüber hinaus respektieren, sind der Vielfalt an Rahmenbedingungen keine Grenzen gesetzt.

Aber was ist, wenn sich einer verliebt oder der Sex mit der Affäre besser ist? 

Okay, erst einmal: Auch in einer monogamen Beziehung ist man nicht davor geschützt, dass der Partner sich eventuell irgendwann zu wem anders hingezogen fühlt und einen – im schlimmsten Fall – sitzen lässt. Hierbei zählt Vertrauen. Vertrauen ist gut – Kontrolle ist abfuck. Solange eine Beziehung nicht auf Vertrauen beruht, ist sie zum Scheitern verurteilt. Und selbst wenn der Fall der Fälle eintreten sollte: Hört niemals auf zu reden.

Anders wiederum ist es in polyamoren Verbindungen, zumal hier auch eine romantische Zweit- oder sogar Drittbeziehung keine Gefahr darstellt – im Gegenteil! Es gibt Poly-Familien, die aus mehr als 2 Akteur*innen bestehen und hervorragend funktionieren. Ob man gemeinsam unter einem Dach, oder über die Stadt verstreut lebt, spielt hierbei keine Rolle. Wichtig ist: alle Beteiligten müssen einverstanden, in Kenntnis gesetzt und glücklich mit der Situation sein. Das eigentliche Problem in diesem Fall ist nicht die Liebe, denn die ist unbegrenzt und wird mehr, wenn man sie teilt. „Zeit“ hingegen ist ein limitiertes Gut und keiner von uns hat mehr als 24 Stunden am Tag zur Verfügung. Die Frage sollte also eher sein: Wie bekomme ich mehrere Beziehungen, neben Berufsalltag und Freizeit, auf die Kette? Eher ein organisatorisches Problem… würde ich sagen.

Wieviel Offenheit tut einer Beziehung bzw. dem/der Partner/in gut?

Auch das muss jedes Paar für sich selbst entscheiden. „So wenig wir möglich, so viel wie nötig.“, so halten es die einen – „Was er/sie nicht weiß, macht er/sie nicht heiß.“, sagen die anderen. Aber auch das Modell „Volle Transparenz und Ehrlichkeit, ohne Rücksicht auf temporäre emotionale Verluste.“ ist das Motto mancher Paare, die sich bewusst nichts verschweigen und letztlich über alles genauestens informiert sein wollen. Schon klar: Mehr Klarheit, weniger Kopfkino… und das ist ja bekanntlich das Schlimmste. Probiert es aus, haltet es aus.

Mit welchen essenziellen Dingen schafft mein eine derart enorme Vertrauensbasis?

Achtsamkeit ist das Stichwort: Offenheit sich selbst und dem/der Partner/in gegenüber. Allerdings fällt es nicht allen so leicht, offen und frei über ihre negativen Gefühlsregungen (Eifersucht), Ängste und Unsicherheiten zu reden. Natürlich ist es wichtig, dem/der Partner/in im Gegenzug immer wieder zu zeigen, dass er/sie trotz des temporären Vergnügens mit Dritten weiterhin die Nummer 1 ist. Ob man das jetzt in Form von Gesten, Gesagtem oder Geschenken vermittelt sei dabei jedem Pärchen selbst überlassen. Hauptsache es hagelt Anerkennung und Wertschätzung.

Brauchen Polys oder Menschen in offenen Beziehungen einfach generell mehr Sex und wollen sich daher nicht exklusiv festlegen? 

Es gibt sie, diese Momente, in denen sich die Gelegenheit bietet, der eigenen Lust nachzugehen – im besten Fall ohne Rücksicht (nehmen zu müssen) auf Verluste. Das Leben besteht aus Phasen, ebenso eine Beziehung. Nur weil etwas erlaubt ist, heißt das aber nicht, dass es ständig passiert oder besonders gut ist. Irgendwann wird es eben normal. Mal davon abgesehen, dass die Annahme wenig Sinn ergibt, zumal man auch mit der gleichen Person viel Sex haben könnte, wenn es einem lediglich darum geht, viel Sex zu haben. Vorausgesetzt die Libido des/der Partners/in ist ähnlich stark ausgeprägt – natürlich!

Und was ist, wenn Kinderwunsch und Familienplanung in den Vordergrund rücken?

An dieser Stelle kann ich lediglich auf Patchworkfamilien verweisen, die ebenfalls ein Gegenmodell zu der herkömmlichen Verbindung „Mutter-Vater-Kind“ darstellen. Hier haben, zumindest in manchen Fällen, auch mehrere Erwachsene Einfluss auf die Erziehung des Kindes. Und mal ehrlich: wenn ein Kind etwas nicht genug haben kann, dann sind es Bezugspersonen. Wenn diese dann auch noch im harmonischen Einklang leben, ist es die perfekte Grundvoraussetzung für eine behütete Kindheit.

Aber ist diese Art zu leben nicht eigentlich „anti-evolutions-biologisch“ und verstößt gegen unsere Urinstinkte?

Wenn Sex lediglich zur Fortpflanzung dienen würde, wäre er wohl eher mit einem Pflichtakt, anstatt einer lustvollen Befriedigung zu vergleichen. Aber wieso gibt es dann so viel sexuelle Gewalt? Wieso leiden so viele Menschen an sexuellen Störungen, die ihr gesamtes Verhalten inklusive Alltag beeinflussen? Wieso überschlagen sich in den Nachrichten regelmäßig die Meldungen über Vergewaltigungen und sexuellen Missbrauch, egal ob an Jungen, Mädchen oder Erwachsenen? Wieso ist die Pornoindustrie größer und ertragreicher als jede andere Industrie auf diesem Planeten? Wieso gibt es zudem so viele Missbrauchsfälle in der (katholischen) Kirche, wenn der Zölibat doch angeblich gottgegeben und menschlich ist? Wieso gibt es immer mehr Single-Haushalte und Scheidungsraten so hoch wie nie zuvor?

„Serielle Monogamie: Lassen sie sich scheiden und fangen Sie von vorne an. Diese Option ist die scheinbar „ehrliche“ Variante, die von den meisten Experten empfohlen wird, darunter auch viele Paartherapeuten. […] Serielle Monogamie ist eine sympathische Reaktion auf den Widerspruch zwischen dem, was die Gesellschaft vorschreibt, und dem, was die Biologie einfordert. […] Auch wenn die Flucht in die serielle Monogamie als die anständige Entscheidung bezeichnet wird, so hat sie doch zur derzeitigen Epidemie der zerstörten Familien und alleinerziehenden Eltern geführt.“ (Hierzu mehr: Jétha/Ryan: Sex. Die wahre Geschichte, Klett-Cotta 2016.)

Die Menschheit ist schätzungsweise 150.00 – 300.000 Jahre alt und lebt erst seit ca. 12. 000 Jahren zivilisiert – mehr oder weniger. Die Biologie und Urinstinkte beeinflussen uns deutlich stärker als manch einer von uns wahrhaben oder sich eingestehen möchte. Monogamie ist in unseren Genen ursprünglich nicht einprogrammiert. Ist einfach so! Wie stark ein Trieb ist, erkennt man schließlich daran, wie aufwendig es ist ihn zu unterdrücken. Fraglich also, welches Verhalten in der Liebe bzw. welches Beziehungskonstrukt am Ende wirklich „anti-evolutions-biologisch“ ist.

Was ist der prägnanteste Unterschied zwischen einer Monogamen, und einer nicht-monogamen Beziehung?

Eine offene Beziehung stellt den Sex eben NICHT in den Vordergrund, zumal er keine zerstörerische bzw. gefährdende Kraft darstellt. Im Mittelpunkt dieser alternativen Beziehungskonzepte steht die emotionale Verbindung der beiden Partner zueinander. Die Liebe eben. 

Mehr zu diesem Thema findest Du in unserem Podcast.

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